B. Walter: Informationen, Wissen und Macht

Cover
Titel
Informationen, Wissen und Macht. kteure und Techniken städtischer Aussenpolitik: Bern, Strassburg und Basel im Kontext der Burgunderkriege (1468 –1477)


Autor(en)
Bastian, Walter
Reihe
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – Beihefte 218
Erschienen
Stuttgart 2012: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Harm von Seggern, Historisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität Kiel

Fragen der Kommunikation nehmen in der jüngeren Kulturgeschichte einen breiten Raum ein. Gegenstand der vorliegenden Münsteraner Dissertation ist der Nachrichtenaustausch zwischen den führenden oberrheinisch-eidgenössischen Städten, die sich seit der Verpfändung der habsburgischen Vorlande an Karl den Kühnen 1469 zunehmend bedroht fühlten und ihm im Herbst 1474 die Fehde erklärten, als Karl selbst mit seiner Armee vor Neuss lag, wo er für mehrere Monate gebunden bleiben sollte, was zum Zeitpunkt der Fehdeerklärung nicht abzusehen war. Diese Begebenheiten haben seit dem 19. Jahrhundert immer wieder die Aufmerksamkeit der politischen und der Ereignisgeschichte auf sich gezogen. Neu ist an dem vorliegenden Werk die Nachzeichnung der Kommunikationsstrukturen, der Zuträger, der Verteilerdienste, überhaupt die Beschreibung der ganzen Praxis des Nachrichtenverkehrs sowie des Handelns der Amtsträger der grossen Städte. Dazu bedient der Verfasser sich zunächst der biographischen Methode, indem er in dem zweiten, gross angelegten Kapitel die städtischen Gesandten als Personen in ihrem persönlichen Werdegang nachzeichnet, woraufhin er in mehreren kleineren Kapiteln das Funktionieren der Netzwerke beschreibt. Hauptthese ist, dass der Informationsvorsprung, den einer der Akteure besass, so etwas wie eine Währung darstellte, die dieser für seinen politischen Einfluss nutzbar machen konnte. In zahlreichen Aspekten berührt die Arbeit Probleme, die mich selbst bei meiner Dissertation über die «Herrschermedien» beschäftigen. Während ich mich jedoch thematisch auf die Landesherrschaft verlegte und am Beispiel Karls des Kühnen danach fragte, ob diese überhaupt auch von unteren Schichten der Bevölkerung erfahrbar war, zeichnet Walter das Handeln mehrerer formal selbständiger politischer Akteure nach, die sich auf die Abwehr eines als übermächtig empfundenen Nachbarn einigten und zum Präventivschlag drängten; direkte Ähnlichkeiten gibt es bei den holländischen Landständen und vor allem den grossen Städten Leiden, Haarlem und Amsterdam, die sich verabredeten, die immer weiter steigenden Steuer- und Armeeforderungen ihres Herrn zurückzuweisen. Hier wie da sind die Ausgabenrechnungen der Städte die wichtigste Quelle.

Entscheidend im eidgenössisch-oberrheinischen Raum waren die überlokalen Netzwerke, die die Politik der Städte und der aus diesen Städten gebildeten Bündnissen bestimmten. Man könnte diese Netzwerke als antiburgundische Parteien in den Städten bezeichnen, die sich zunächst gegen die sich proburgundisch oder neutral positionierenden Amtsträger durchsetzen mussten. Letztlich äusserte sich darin eine Interessenpolitik, konkret: eine Politik, deren Interesse in der Wahrung der Selbständigkeit der grossen Städte, eben Bern, Basel und Strassburg, lag. Dieses Interesse schliesst ein, dass sie gegenüber den zögerlichen Bündnispartnern durchaus drohend auftreten konnten, kleinere Städte in ihrem Machtgebiet übervorteilten. Insbesondere die Aussenpolitik Berns lässt sich als treibend, wenn nicht gar aggressiv bezeichnen.

Ausgesprochen erfreulich findet es der Rezensent, dass der Autor es sich und den Lesern erspart, mit weit ausholenden Herleitungen die zentralen Begriffe wie Information, Wissen und Macht zu definieren, handelt es sich doch um universale Kategorien, die in unterschiedlicher Schattierung die Politik bestimmten. Derartige Abstrakta zu bestimmen gehört zwar zum Kern der Wissenschaften, in der Geschichtswissenschaft werden sie jedoch auf einen konkreten Fall angewendet. Bezeichnend hierfür ist, dass der Verfasser sich an die Wissenssoziologie anlehnt und dementsprechend von den Wissensträgern spricht, womit nicht die fachlichen Spezialisten und Experten gemeint sind, sondern diejenigen, die in der Politik einen Wissensvorsprung vor anderen haben. Auffällig ist die Nähe der politischen Wissensträger zu den Fernhandelskaufleuten: Städtische «Aussenpolitik» und Fernhandel bedingten einander.

Der Detailreichtum der fünf kleineren Kapitel etwa hinsichtlich der Organisation der städtischen Kanzleien, der dortigen Akten- und Buchführung, der Gewährleistung des gezielten Briefverkehrs durch auf eigene Kosten unterhaltene Boten, der Stellung der Boten und ihrer Bedeutung als niedere Amtsträger oder der gezielten Nachrichtenbeschaffung durch Spionage lässt sich hier nicht wiedergeben. Erwähnt sei nur, dass die Studie aufschlussreiche Beobachtungen bereithält zum massiven Anstieg des Briefverkehrs und der Schriftlichkeit (Auseinandersetzungen produzieren Quellen), zu Nachtläufen der Boten, zur Reise- und Übermittlungsgeschwindigkeit als bekannter und kontrollierbarer Grösse oder zur gezielten Informationsbeschaffung durch Spione. Besondere Aufmerksamkeit zieht eine Rechnung eines Spions auf sich (S. 268, 274–280), eine lebensweltlich hochinteressante Quelle, die zudem einen Einblick gewährt in die Parteiung zwischen Pro-Habsburgern und Pro-Burgundern, die sich im Metzer Rat gebildet hatte. Immer wieder gibt es ein Wechselspiel zwischen Ereignis und der Berichterstattung über dieses; besonders eingängig ist in diesem Sinn der Abschnitt über den «Tod des Herzogs als ‹Medienereignis›» (S. 236–239).

Was den Rezensenten hingegen besonders interessiert, ist die Frage, ob und wie die Nachricht eines ausbleibenden Ereignisses übermittelt wurde. An einem weiteren Beispiel, der in den politischen Oberschichten West- und Mitteleuropas erwarteten Krönung Karls des Kühnen zum König in Trier 1473, konnte der Rezensent dieser Frage in seiner Dissertation über die «Herrschermedien» nachgehen und dabei zeigen, dass der Nachrichtenfluss so gut war, dass die Herrschaftsträger nicht nur wussten, welche Ereignisse gerade stattfinden oder vor kurzem stattfanden, sondern überdies einen Erwartungshorizont hatten: Teile der politischen Gesellschaft waren im Vorhinein davon überzeugt, dass die Krönung stattfinden werde. Kurzfristig wurde daraus nichts – und gerade dies war eine Nachricht, da das weitere Vorgehen des burgundischen Herzogs dadurch fraglich wurde. Der Metzer Gesandte Martin von Ingenheim befand sich auf dem Rückweg nach Metz, als er vom Platzen des Trierer Treffens hörte. Er setzte seinen Strassburger Amtskollegen Johannes Meier sogleich, noch ehe er, Ingenheim, in Metz eintraf, davon in Kenntnis (S. 202 mit Anmerkung 66) und berichtete zudem über die ersten Kontaktaufnahmen zwischen dem Kaiser und dem König von Frankreich. Leider wird nicht gesagt, von wann genau der Brief stammt (das Datum kann fehlen), noch, wann er in Strassburg einging (auch der Eingang kann nicht eingetragen worden sein) – das Stück wird nicht beschrieben, kommunikations- und kulturgeschichtlich wären solche Hinweise wichtig.

Aufgefallen ist mir zudem, dass der Verfasser von einer Dichotomie zwischen informell/inoffiziell und formell/informell ausgeht (so S. 192, 195). Als dritte Kategorie schöbe sich meines Erachtens das Offiziöse dazwischen, das die Welt der entstehenden Staaten in weitaus stärkerem Masse prägte. Derlei methodische Monita sollen aber den Gehalt des Werks beileibe nicht in Abrede stellen, Politik- und Kommunikationsgeschichte werden bedeutend vorangebracht; ich möchte es nicht missen.

Zitierweise:
Harm von Seggern: Rezension zu: Bastian Walter, Informationen, Wissen und Macht. Akteure und Techniken städtischer Außenpolitik: Bern, Straßburg und Basel im Kontext der Burgunderkriege 1468–1477, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 3, 2016, S. 489-491.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 3, 2016, S. 489-491.

Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit